2. März 2016

Von Hass, heißer Luft und Hymnen: Perspektiven des gesellschaftlichen Engagement in Dresden und darüber hinaus

Nach den letzten Wochen voller Demonstrationen und Gegenprotest, stellt sich einem beim Blick auf die politische Landschaft in Dresden und Sachsen unweigerlich die Frage, wie es weiter gehen soll in einem thematisch einseitigen Diskurs um PEGIDA, Clausnitz, Bautzen und den sächsischen Sumpf.

Da richtet der CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich eine ominöse Feier aus, um Aktiven dafür "Danke" zu sagen, dass sie nicht weniger verschleiern als das politische Totalversagen seiner Landesregierung.
Einige Tage später fällt er medienwirksam in den Staub und erklärt dem sächsischen Landtag, das "manch einer" (gemeint ist er selbst) die Gefahr von Rechts jahrelang verkannt habe. Nicht ohne unmittelbar danach eine andere Stimme seiner Fraktion, Frank Kupfer erzählen zu lassen, er sei stolz auf seinen Freistaat und sehe keinen Grund sich zu schämen.

Frank Richter, Direktor der Sächsische Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) erklärt indess es sei nun Repression gefragt und Dialog mit Menschenfeinden könne keine Lösung sein, nicht ohne am darauf folgenden Donnerstag eben jenen Dialog wieder in der Kreuzkirche stattfinden zu lassen.
Auch er erkennt nun angeblich "jemand" habe die politische Bildung in Sachsen jahrelang vernachlässigt und habe das Problem nicht sehen wollen.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich grade eben jener Zustand manifestiert, den wir bereits vor über einem Jahr prophezeit haben: Plötzlich erkennen alle ein Problem, das vorher unabsehbar gewesen sein muss und niemand trägt dafür die Verantwortung...

Unterdessen dokumentiert PEGIDA den eigenen politischen Bankrott, indem auf der montäglichen Veranstaltung überhaupt kein Inhalt mehr angeboten wird. Die einzigen inhaltlichen Beiträge drehen sich samt und sonders um einen Artikel in der taz (bzw im Tagesspiegel ...oder wo auch immer) dessen satirischen Anspruch von Lutz Bachmann ganz offensichtlich nicht erkannt wurde.
So wird der gesamte Abend mit einem Hoax gefüllt und besteht ansonsten nur aus Hass, heißer Luft und Hymnen.

Das alles lässt uns fragen: 

Wie können diese #sächsischenVerhltnisse ernsthaft angegangen werden?


Nun, Sachsen verdeutlicht grade erneut, dass Protest als reine Kontra-Veranstaltung den eigentlichen Problemen nicht gerecht wird. Mensch kommt nicht umher festzustellen, dass die CDU Sachsen - Die Sächsische Union im Besonderen aber die politisch Verantwortlichen im Allgemeinen derzeit versuchen, die sprichwörtliche Zahnpasta wieder in die Tube zu bekommen und zu einem Prä-Gida Normalzustand zurück zu kehren.

Der politischen Führung in Sachsen aber auch anderswo ist es gelungen, einigen Teilen der Zivilgesellschaft, die herrschenden, desaströsen Zustände als eine Art "kleineres Übel" gegenüber PEGIDA, AfD und einer diffusen rechten Utopie zu verkaufen. Was unter anderem die SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag dazu bewegt hat, jede noch so absurde Kapriole der CDU mitzutragen und dies damit zu rechtfertigen, ein Bruch der aktuellen Koalition habe unter Umständen eine CDU-AfD-Regierung zur Folge, unter der "dann alles noch schlimmer" werden könne.

Nur verkennt ein solcher Umgang mit den Phänomenen eines ganz gewaltig: Sachsen war auch vor PEGIDA keine emanzipierte, tolerante und offene Gesellschaft, Dresden war noch nie ein New York an der Elbe.
Umgekehrt ist es eben jener "Normalzustand" der PEGIDA, eine NPD-Fraktion im Landtag oder auch jahrelang Europas größten Aufmarsch von Neonazis am 13.02. überhaupt erst ermöglicht hat.

Sprechen wir es einmal offen an: In Sachsen gibt es ein fundamentales Defizit in Sachen Demokratieverständnis, Pluralismus, Partizipation und selbstverantwortlicher Gesellschaftsgestaltung.
Im Freistaat ist Politik ein Service-Versprechen. Die CDU herrscht und die Bürger sind zufrieden oder auch nicht. Selbstorganisiert oder gar eigenverantwortlich Politik, ja Gesellschaft mitzugestalten ist für viele eine unvorstellbare Hürde. Politisch sind die Menschen zuallererst mal eines, nämlich Untertanen.
Und so ist die Vorstellung, die einige Sachsen derzeit von "Mitbestimmung" praktizieren, dann auch folgerichtig, im Kreis zu marschieren und den eigenen "Unmut" zu verbalisieren.

Eben der Status Quo ist es, auf den kritisch eingewirkt werden muss. Demonstratrionen als reine Gegenveranstaltung und in dem Trugschluss, ohne PEGIDA sei alles super im Staate, ist zum Scheitern verurteilt.

Unser Protest, unsere Mitgestaltung und unsere Kritik muss sich an jenen Komplex richten, der seit Jahren als "Sachsensumpf" bekannt ist.
Untertanendenken von seiten der Bevölkerung aber auch der Regierenden gilt es zu brechen. Selbstbestimmung aber eben auch Selbstverantwortung müssen eingefordert werden. 
Die Aktionen dürfen sich nicht nur an jene richten, die montags stupide im Kreis laufen und Satire nicht von Berichterstattung unterscheiden können, sondern an jene, die andere Zustände behindern und den völkischen Geist fortwährend hofieren. Akteure wie Frank Richter und Superintendent Baehr, die am Donnerstag in der Kreuzkirche wieder mit RassistInnen verhandeln wollen zum Beispiel.

Und so braucht es:

Eine ausdrucksstarke Weiterentwicklung, die zuerst bei uns selbst stattfinden muss


Es beginnt damit, nicht nach dem Staat und der Politik sowie bürokratischen Lösungen zu schreien. Es beginnt damit, bessere Bedingungen nicht nur einzufordern, sondern sie selbst zu gestalten.
Die Hilfe für Geflüchtete im letzten Sommer hat vielerorts gezeigt, dass solche Dinge autonom organisiert und zusammen gestaltet viel besser funktionieren können, als staatliche Organisationsmonster.

Andere Zustände sind möglich, aber wir dürfen nicht auf Tillich und seine Regierung warten... 
Die Forderung an den sächsischen Staat kann eigentlich nur noch lauten: Geht uns aus dem Weg!